Du bist noch nicht einmal volljährig (**). Trotzdem fährst Du
schon seit mehr als 16 Jahren, die allermeisten davon mit
mir. Wie jung Du eigentlich bist merkt man daran, dass Du
die DDR nie kennen gelernt hast. Du hast auch nie die Mauer
gesehen – gegen die ich Dich einmal gesetzt habe.
Aber fangen wir mit dem Anfang an: Am 22. August 1991
erblickten im schönen Wolfsburg Deine Scheinwerfer das
Licht der Welt. Oh Gott ist das lange her. Damals wuchs
Deutschland zusammen, weil es vermeintlich zusammen
gehörte, Helmut Kohl war als Bundeskanzler
wiedergewählt worden und die Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken zerfiel. Aber Du hältst bis heute. An
fast jeder roten Ampel.
Ich lernte Dich erst ein knappes Jahr später
kennen. Er war im Juli 1992 und Du warst gebraucht. Ich war
jung und hätte das Geld gebraucht, stattdessen bekam
ich Dich, gebraucht. Aber ich habe Dich dann auch brauchen
können. Auch gebraucht.
Damals musste ich meinen Dienst am Volk tun und Du
wurdest mein Dienst- und Volkswagen. Ja mit Dir konnte ich
mich problemlos unter die Augen des Volks wagen. Und das
Volk waren ja damals wir. Heute sind wir Deutschland oder
vielleicht auch noch der Papst; Benedikt der XVI. hatte ja
auch einen Golf (den vierten). Inzwischen wird Joseph
Ratzinger – sozusagen der JR des Vatikans –
gefahren; und seine Auto-Biografie muss er auch nicht mehr
selber schreiben.
Zurück zu Dir: Die 90er waren Deine Sturm- und
Drang-Zeit. Du bist die Berge hochgefahren wie Jan Ullrich.
Allerdings waren damals auch eine Menge Lance Armstrongs und
Marco Pantanis unterwegs, die Dich haben stehen lassen. Aber
Du hast nie gemogelt; nicht mit Super, nicht mit Blei, nicht
mit Diesel. Das höchste der Gefühle waren ein Satz
Winterreifen und ein paar Schneeketten, die ich Dir manchmal
umgehängt habe. Deine Konkurrenten von damals fristen
Ihr Dasein inzwischen zumeist auf dem Schrottplatz und nur
wenige haben gestanden, was sie damals im Tank hatten. Was
soll's, Deine Benzinpumpe tut's noch.
Es gibt aber noch andere Lebewesen auf dieser Erde, mit
denen Du nie mehr warm werden wirst, egal wie selten ich Dir
das Öl wechsele. Und ich meine nicht, die Arschgeigen,
die sich in Erlangen Deine Antenne dauerhaft ausgeliehen
haben. Oder die, die in Valencia die Haltbarkeit Deiner
Fensterscheibe rechts vorne bis über die Grenze hinaus
getestet haben. Nein. Es sind die Vögel, besonders die
Tauben dieser Welt. Die haben Dir so manchen Kotflügel
verpasst.
Natürlich standst Du nicht nur zu Hause unter
heimischen Bäumen. Oft warst Du auch Hotel für
meine Begleiter und mich, wenn wir in den Urlaub gefahren
sind. Was braucht man mehr: Zwei Betten, Radio, Klo auf dem
Gang und einen ganzen Raum für die Koffer. Nur wird man
in einem klassischen Hotel sicher seltener von der Polizei
geweckt. Aber das hat ja auch was.
Insgesamt hattest Du wenig Stress mit der Polizei und
auch im Krankenhaus, ich meine, in der Werkstatt warst Du
selten. Nur einmal hast Du Dir eine blutige Nase geholt. Was
für ein Schreck das war. Ich fühlte mich
mitschuldig, denn ich hatte Dich aufs Glatteis geführt.
Vielleicht hätte ich auf meinen Kumpel hören
sollen. Der hat damals geschrien: "Fahr dicht nicht so auf!"
Oder hat er geschrien "Fahr nicht so dicht auf!"? Egal, ich
war auf jeden Fall nicht voll, als ich so dicht aufgefahren
bin, ich bin nur voll dicht aufgefahren. Derselbe Kumpel
sagt übrigens auch immer: "Fahr nie durch eine gelbe
Ampel, wenn der vor Dir nicht durchfährt."
Damals konnten wir weiterfahren. Du bist einfach hart
ihm Nehmen. Allerdings hattest Du sonst auch meistens nur
Schürfwunden in Deinem Leben. Manche haben wir
behandeln lassen, aber inzwischen trägst Du jeden
Kratzer mit Würde. Sie sollen jedem Pfosten, jeder
Garageneinfahrt und jedem glänzenden
Sports-Utility-Vehicle sagen "hey, ich kann auch anders!".
Unser gutes Verhältnis wurde im Jahr 2006 auf eine
harte Probe gestellt. Plötzlich war die Welt voller
Autokorsos und die Autos selbst voller Fähnchen.
Neidisch sahst Du den Kollegen im Rückspiegel nach
– wie ihre Flaggen im Fahrtwind flatterten und der
Deutschen Sache Auftrieb gaben. Schwarz Rot Gold war wieder
wer und Du wolltest auch wer sein. Aber Dein böser
Halter spielte nicht mit. Keine Fähnchen, kein
Autokorso, von einem Hupkonzert ganz zu schweigen. Da
wurdest Du stinkig. Und zwar so stinkig, dass nicht einmal
der Katalysator Dich mehr beruhigen konnte. Es kam sogar so
weit, dass Du gar nicht mehr fahren wolltest. Natürlich
an einem Regentag. Das wiederum nahm ich Dir übel.
Mittlerweile vertragen wir uns aber wieder und Du gibst
sogar zu, dass die Fähnchenmode ziemlich peinlich war.
Ich bin froh, dass wir unsere Differenzen
überbrücken konnten. Und das ohne das rote und das
schwarze Kabel in Deinem Kofferraum. Schließlich war
und bin ich Dein größter Fan, denn Du bist
einzigartig: Noch heute verwandelst Du jeden Parkplatz in
einen Golfplatz. Und dabei hast Du viel mehr zu bieten als
nur 18 Löcher. Deine Driving Range ist nicht nur 400m,
nein. Noch immer schaffst Du 700 Kilometer, ganz ohne
Handicap. Nur mit dem jährlichen Mitgliedsbeitrag
verhält es sich ganz ähnlich: Er steigt und steigt
und steigt und steigt ...
Ich kann und will es mir nicht vorstellen, dass es
irgendwann anders sein wird, als es all die Jahre war: Du
läufst, ich fahre und trotzdem sind wir zusammen.
* Stand 2010
** Stand 2008
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