Bibelleser wissen mehr
(oder „Das ganz neue Testament”)
Joh 1,1 Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und das Wort war Gott.
Joh 1,2 Im Anfang war es bei Gott.
Joh 1,3 Alles ist durch das Wort geworden / und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.

Aber was ist aus dem Wort geworden? Lange Zeit war es bei Gott.
Eines Tages sprach es zu Gott: „Ich will fort.”
Und Gott erwiderte: „Einverstanden. Aber zieh Dich warm an.”
Also hüllte es sich in sein Wortgewand und verschwand.
Gott ließ es zurück. Wortlos.

Nach einiger Zeit traf das Wort eine Silbe, die sehr traurig aussah.
„Was hast Du denn?” fragte das Wort.
Die Silbe antwortete:
„Ich habe mich getrennt. So viele brechen heutzutage ihr Wort.”
Das Wort aber meinte: „Mach Dir nichts draus, komm mit und lass uns Teil von etwas Größerem werden.”
Da ging die Silbe kurzentschlossen mit dem Wort fort.

Eines Abends kamen sie zu einem Gasthaus.

Joh 1,4 In ihm war das Leben / und das Leben war das Licht der Menschen.
Joh 1,5 Und das Licht leuchtet in der Finsternis / und die Finsternis hat es nicht erfasst.

Aber das Licht hatte die Silbe und das Wort erfasst.
Beide blickten durchs Fenster ins Gasthaus.
Und das Wort sah, dass es gut war.
„Da ist Leben in der Bude, das gefällt mir, auch wenn es ein bisschen hell ist.
Lass uns reingehen, ich glaube, da tritt gleich jemand auf.”

Joh 1,6 Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes.
Joh 1,7 Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen.
Joh 1,8 Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht.

„Den kenn' ich” flüsterte das Wort, „den hab' ich mal bei Gott gesehen.”

Die Silbe staunte: „Wieso? Warst Du mal bei Gott?”

„Ja, im Anfang. Ich war sogar Gott.
Und nichts ist geworden, was nicht durch mich geworden ist.
Aber das ist jetzt nicht so wichtig.”

Die Silbe war sprachlos: „Wow, dann bist Du ja das Wort Gottes?”

„Sozusagen. Aber sieh mal, Johannes scheint nicht alleine da zu sein.”

In der Tat nahm neben Johannes ein ganzer Satz Platz.
Alle seine Teile und Zeichen strahlten als Johannes zu erzählen begann:

„Ich aber sage Euch, durch diesen Satz hat sich alles verändert.
Mit ihm ist neuer Glanz eingekehrt.

Joh 1,9 Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, / kam in die Welt.
Joh 1,10 Er war in der Welt / und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht.
Joh 1,11 Er kam in sein Eigentum, / aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Joh 1,12 Allen aber, die ihn aufnahmen, / gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, / allen, die an seinen Namen glauben,
Joh 1,13 die nicht aus dem Blut, / nicht aus dem Willen des Fleisches, / nicht aus dem Willen des Mannes, / sondern aus Gott geboren sind.

An dieser Stelle machte Johannes eine Pause. Seine Zuhörer und das Gesagte setzten sich.
Doch bevor auch Johannes sich setzen konnte ergriff die Silbe das Wort:

„Herr Johannes, mir scheint, Ihr habt einiges aus der Taufe gehoben.
Und jeder Satz von Euch ist formidabel.
Aber sagt mir, was ist aus den Silben und dem Wort geworden?”

Johannes zögerte kurz, dann sprach er:
„Aus den Silben ist das Wort geworden.

Joh 1,14 Und das Wort ist Fleisch geworden / und hat unter uns gewohnt / und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, / die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, / voll Gnade und Wahrheit.

Doch dann ist das Wort fortgegangen und unter uns ist jemand anderes eingezogen.
Wir waren alle sehr traurig, schließlich war alles durch das Wort geworden. Und nicht wurde mehr.
Aber mit diesem Satz könnte es wieder werden.”

Da erhob sich das Wort, sprang mit einem mächtigen Satz auf die Bühne und rief: „Hallo, da bin ich wieder! Na, was sagt Ihr nun?”

„Jessesmaria!” entfuhr es Johannes.
Auch der Satz rang nach Worten, aber dann flog ein Lächeln über sein Gesicht und er sprach:
„Es scheint, als ob hier nicht mehr gebraucht werde. Doch vielleicht ist dem gar nicht so. Ich habe da eine Idee!”

(Ende der Einleitung)

Wort für Wort
Im Anfang war das Wort,
kurz später kam der Satz
und sagte: „Geh nicht fort,
mein Wort, ich habe Platz!”

„Die Worte fehlen mir
für meine Eloquenz
und nicht zuletzt auch für
die nackte Existenz.”

Das Wort, es dachte lang
und schließlich sah es ein:
„Nur im Zusammenhang
kann ich bedeutend sein.”

„Ich schließ dem Satz mich an,
doch, glaub ich in der Tat,
verdien ich irgendwann
ein eignes Prädikat.”

Da sprach der Satz: „Perfekt,
mal sehn, wen ich da find,
wenn Tunwörter Objekt
Deiner Begierde sind.”

Das Werben um ein Verb
war von Erfolg gekrönt.
Es passte ganz superb
(und war auch leicht gedeehnt).

Der Satzbau machte Spaß
und dabei blieb es nicht,
denn was man letztlich las
war fast schon ein Gedicht.
© Axel Horndasch